Systemkritik aus dem Sozial-Labor

lMAL bringt Jugendliche selbstverantwortlich auf die Bühne

Süddeutsche Zeitung vom 16.07.2007

neue Castings
Downloads
Links
SZ
IMAL
LiteraTour
Tour
IMAL
objekt4
objekt7a1
International Munich ArtLab
Home
Musik
Story
Video
eine Produktion von Kontrapunkt e.V.
titelzeile
Kontakt

Der Hund läuft auf die Bühne und schleckt den jungen Mann ab, der über den Bühnenboden rollt. Hinter einem Tisch mit Aschenbecher sitzt ein skeptisch blickender Mann. Ein Gürtel mit Hammer-undSichel-Schnalle hält die Motorradhose. Dicke Bässe wummern durch die 300 Quadratmeter große Halle. Seit sechs Jahren nutzt das "International Munich ArtLab" (IMAL) dieehemalige Werkshalle der Stadtwerke am Flaucher. Bislang mehr als 500 meist arbeitslose Jugendliche mit teilweise problembeladenen familiären Hintergründen und persönlichen Handicaps arbeiteten hier an gemeinschaftlichen Kunstprojekten.

In der Atmosphäre einer Warhol-Factory und mit der Vielfalt einer Kreuzberg-Familie hat der Motorradfahrer Vridolin Enxing eine Welt geschaffen, in der Jugendliche jeweils 15 Monate lang die Chance haben, Wünsche mit Fähigkeiten und Belastbarkeit abzugleichen. Wer das Auswahlverfahren bestanden hat, darf unter Profi-Anleitung ein Stück erarbeiten. Vom Drehbuch, über die Choreographie bis zur Musik. Ein Drittel der Jugendlichen geben auf, bevor sich der Vor–hang für die Premiere öffnet. So war es auch bei dem neuen Stück "System Error", das am Dienstag Premiere hat.

Der 57 jährige Enxing bezeichnet sich als "alten Rockmusiker mit Sozial–Tick". 50 bis 60 Stunden verbringe er pro Woche in der Halle. Inzwischen habe man sich auch den Keller erobert, in welchem Tonstudios, Lager und Proberäume untergebracht sind. Offiziell ist IMAL schlicht eine "berufsvorbereitende Maßnahme". Für die Jugendlichen ist es mehr: "Wir sind wirklich so eine Art Familie", sagt der 22Jährige Daniel. Die 16 bis 22Jährigen freuen sich, über den Tellerrand ihrer Szenen blicken zu können. Die Mischung der Milieus macht die Stücke von IMAL aus, die nicht nur für Tanz und Gesang bejubelt werden, sondern auch mit selbst verfassten Drehbüchern auffallen. So griff Enxing auch bei dem aktuellen, bislang politischsten Stück von IMAL nicht ein.

Während der Proben holten die realen Ereignisse immer wieder die von den Jugendlichen erdachte Handlung ein. Im Stück ersinnt sich die globalisierungs-kritische Aktivistengruppe ein medienwirksames Spaß-Attentat auf den Bundestag. Kurz darauf sah man in der Tagesschau das Spruchband "Der deutschen Wirtschaft" am ehemaligen Reichstagsgebäude hängen. Die Jugendlichen bauten die Sequenz in ihr Antikapitalismus-Musical ein. Genauso wie das Foto von Manuel, der sich im Stück für das Motto "Wer lacht, hat Macht" stark macht und es im echten Leben als AntikriegsClown bei der Sicherheits-Konuerenz auf die Titelseiten mehrerer Zeitungen schaffte.

Das Stück ist nach "WestendOpera“,  "Statt der Angst" und "Extaze" das vierte INTERNATIONAL MUNICH ARTLAB-Musical. Angefangen hatte alles 1994 mit Musik-Workshops in Jugendzentren. "Ich war schockiert, wie viele Ressourcen nicht erfasst werden, weil der richtige Schulabschluss fehlt", sagt Enxing. Also brachte er ein Musical auf die Bühne. Mitmachen sollten die Talentiertesten: Geschlecht, Nationalität, Schulabschluss, Krankheiten, Strafregister durften keine Rolle spielen. Wenn sich beim Casting ausgerechnet Heroinsüchtige, Menschen mit körperlichen Behinderungen oder Kleinkriminelle als die Besten erwiesen, "dann war es mein Problem, wie ich damit zurecht komme". Auch im aktuellen Stück treffe "intellektuelle Kompetenz auf Streetpower". Die Mischung wurde zum Markenzeichen. Seit einigen Jahren bietet IMAL auch Kurse in Bildender Kunst an. "Jedes Jahr nimmt die Kunstakademie 30 neue Studenten auf. Zehn davon kommen von uns", sagt Enxing. IMAL macht Erfolg möglich. Der Komponist des Lou-Bega-Hits "Mambo Number 5" kommt aus der ersten Generation. Aber Geld ist offen–sichtlich nicht das, wonach die aktuelle JMALGeneration strebt. Sie vertont lieber einen SZ-Artikel über einen durch Zinsen ruinierten Unternehmer und schmettert dazu den Brecht-Slogan "Was ist ein Bankraub gegen die Gründung einer Bank?". MARCO EISENACK